MEINE FREUNDE

DALL·E 2025-01-06 10.03.27 - Blogbild Henry-Martin Klemt
DALL·E 2025-01-06 10.03.27 - Blogbild Henry-Martin Klemt

Meine Freunde sehe ich nun öfter
mißtrauisch an. Sie lieben mich
noch und ich liebe sie, aber
werden wir etwa alt? Wir
verbringen mehr Zeit jetzt in
uns. Verschließen die Fenster,
Fernseher, Computer vor dem
Lärm, der uns nichts angeht, aber
betrifft. Über einen einzigen Satz
denken wir nach, über die eine
Szene aus unserem Film: ob sie
ausgedacht war oder wirklich
passierte. Damals. Ausgerechnet
uns. Wir erlernen diese präzise
Kunst des Weghörens, diesen artistischen
Ausgleich von Über- und Unterdruck,
den nur ein Lächeln anzeigt. Es wächst
die Distanz ohne Ablehnung. Die Nähe
ohne Begierde. Das sieht man uns an
beim Reden, Schweigen, sogar wenn
wir tanzen. Die Füße fest auf
der Welt, schweben wir doch,
als beginne in diesem Moment
das eigene Leben und im nächsten
Moment und immer so fort, entbunden
der Pflichten und Loyalitäten, entfesselt
von jeder Konkurrenz, vom allerkleinsten
Krieg. Doch mißmutig auch, aufgelöst
in Tränen, knöcheltief watend in den
Verlusten, abgestellt an frischen
Gräbern, die nur durch Zufall nicht
unsere sind. Blaue Stunden
durchmessen wir, Morgenröten. Was
uns vertraut ist, berühren wir mit
Vorsicht, weil alles zu sprechen beginnt
und jedes in seiner schneefarbenen
Sprache. Weil die Worte schmelzen und
versickern im Boden. Kehren zurück erst,
wenn wir verschwunden sind. Der Tanzplatz
sich mit Jüngeren füllt, die sanften Märzfeuer
andere wärmen. Meine Freunde gehen
fischen, spazieren durch Wälder, manchmal
sehen sie auf den Brachen versunkener
Industrien ein paar Kinder warten auf
sich selbst, zitternd warten auf eine
Umarmung, die sie wachsen läßt. Sie
ertragen den Verfall, weil sie glauben,
dass es niemals der ihre sein wird und wir
gehen langsam vorbei und belehren sie
nicht. So wie sie uns nicht fragen, was
wir zu suchen haben in dem Gebrösel
von Arbeit und Stein, diesen bezugsfertigen
Ruinen der Utopie. Uneins sind meine
Freunde, ob es sich besser lebt unter
den roten Dächern oder darüber,
unter oder über dem Gras, dem
Meeresspiegel, im Schwarm oder
unendlich allein. Sie sehen mich
nun öfter an, mißtrauisch und
mit den Augen
nicken sie.

HENRY-MARTIN KLEMT
Januar 2025


Zum Autor:

Henry Martin Klemt - Foto Rita Klemt 2025
Henry Martin Klemt – Foto Rita Klemt 2025

Homepage des Autors: https://www.hmklemt.de/

Der Autor bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Henry-Martin_Klemt


Textquelle: https://www.facebook.com/story.php?story_fbid=10223445692205327&id=1678482081&rdid=IpKQSdc1NKb4MVB1&checkpoint_src=any
Bildquelle: DALL·E 2025-01-06 10.03.27 – Blogbild Henri-Martin Klemt